Die neue Energiewelt Vom Mangel zum Überfluss
Die im Auftrag des Bundesamts für Energie erstellte Studie «Die neue Energiewelt» geht von einer sprunghaften Weiterentwicklung des Energiesystems im 21. Jahrhundert aus und analysiert 30 mögliche Veränderungen. Eine Trendlandschaft bietet einen Überblick über die wichtigsten Einflussfaktoren auf das Energiesystem. Dazu gehören:
- gesellschaftliche Veränderungen, beispielsweise das Bevölkerungswachstum
- technologische Fortschritte, etwa autonome Autos oder Schwarmenergien
- ökologische Entwicklungen wie Gletscherschmelzen oder ein Kobaltschock
- wirtschaftliche Prozesse, zum Beispiel Gratisenergie
- geopolitische Vorgänge wie ein nukleares Comeback
Mit einem Zukunftsszenario zeigt die GDI-Studie in vier Akten und 36 Szenen auf, wie sich der Übergang in die Energiezukunft gestalten könnte.
«The future always comes too fast and in the wrong order.» Diese nüchterne Feststellung des US-amerikanischen Futurologen Alvin Toffler spricht wohl derzeit vielen Energieunternehmen aus dem Herzen. Denn sie sind mit fundamentalen Veränderungen von Märkten und Technologien konfrontiert. Deren Auswirkungen sind bereits heute spürbar und werden zueiner ganz neuen Energiewelt führen. Die Veränderungen kommen unaufgefordert auf uns zu, und sie werden dabei keiner gesetzlich anordneten Reihenfolge oder Logik folgen. Neue Technologien und Geschäftsmodelle werden auftauchen, gleichzeitig oder nacheinander, sich gegenseitig ergänzen oder ausschliessen, sich im Wettbewerb durchsetzen oder wieder verschwinden. Die Energiezukunft lässt sich nicht «sortieren».
Doch sie lässt sich lenken. Damit dies aber gelingen kann, müssen wir uns aktiv mit der Zukunft befassen, potenzielle Technologiesprünge antizipieren, Chancen ergreifen und Risiken frühzeitig vorkehren, ohne vor ihnen in eine Schockstarre zu verfallen. Das oberste Ziel bleibt, eine sichere, bezahlbare und umweltfreundliche Energieversorgung für uns alle zu garantieren. Wir wollen die neue Energiewelt nicht abwarten, sondern sie gestalten. Unsere Generation hat das Privileg, dabei mitzuwirken.
Benoît Revaz
Direktor Bundesamt für Energie
Zusammenfassung
Im 21. Jahrhundert wird sich das globale Energiesystem von einem System der Knappheit in ein System des Überflusses transformieren: Energie wird dann nicht nur immer und überall in der benötigten Menge zur Verfügung stehen, sondern wird auch zu 100 Prozent aus nicht fossilen Quellen gewonnen. Somit wird die alte industrielle Welt des Öls von der neuen digitalen Welt der Elektrizität abgelöst.
Die Kräfte, die dazu führen, entspringen dabei nicht nur dem technologischen Fortschritt, sondern auch der gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, ökologischen und politischen Veränderung. Mit
dem grundlegenden Wandel des Energiesystems geht auch ein grundlegender Wandel der globalen Gesellschaft einher. Am Ende dieser Transformation steht eine postkarbone Energieüberflussgesellschaft mit radikal veränderten sozialen, politischen, ökonomischen und kulturellen Parametern.
Wie genau diese schöne neue Energiewelt aussehen wird, ist heute nicht zu sagen. Die Antwort darauf lässt sich ohnehin nicht aus einer Glaskugel ablesen. Jene Übergangsgesellschaft, die zwischen dem Mangel von heute und dem Überfluss von übermorgen lebt, wird sie aushandeln müssen. Denn genauso wie das Energiesystem sich durch Übergangstechnologien auszeichnet, wird sich auch eine Übergangsgesellschaft etablieren. Sie wird den Wandel miterleben und mittragen – und letztlich ermöglichen.
Dieser Übergang geschieht nicht auf einen Schlag – aber auch nicht gleitend, stufenlos und unmerklich. Er wird in Schritten, Sprüngen, Brüchen vor sich gehen, die für alle Beteiligten spürbar sind. Diese Entwicklungen sind als «Shifts» zu verstehen: Wenn sie eintreten, verändert sich die Art und Weise, wie wir Energie produzieren oder konsumieren. Entsprechend gehört es bei der Steuerung des Energiesystems nicht nur zu den Aufgaben, dessen Rahmenbedingungen festzulegen und zu kontrollieren, sondern auch, sich auf mögliche Verwerfungen vorzubereiten und auf positive wie negative Ereignisse planvoll zu reagieren. Insgesamt 30 der aus heutiger Sicht wichtigsten Entwicklungen aus dem gesellschaftlichen, technologischen, wirtschaftlichen, ökologischen und politischen Wandel wurden in dieser Studie in einer Trendlandschaft versammelt und daraufhin analysiert, wie sie das Energiesystem der Zukunft prägen könnten.
Eine zentrale Rolle in diesem Übergang zur Energieüberflussgesellschaft werden staatliche Institutionen
spielen. Erstens, weil in einer elektrifizierten Welt die Wichtigkeit der Staaten zunimmt, da sie fast überall in der Welt über die Stromnetze gebieten. Zweitens, weil bei Investitionen für eine Überflussgesellschaft der volkswirtschaftliche Nutzen wichtiger ist als der betriebswirtschaftliche Gewinn. Und drittens, weil die Weiterentwicklung hin zur Überflussgesellschaft vor allem über Krisen- oder Umbruchsituationen geschehen wird. In solchen Situationen wird fast automatisch nach dem Staat als Helfer gerufen. Jeder Shift der Branche, ob vom Menschen oder der Natur verursacht, ob technische Disruption, soziale Revolution oder ökologische Katastrophe, eröffnet einen Gestaltungsraum für zentrale Akteure – und eine Chance, das Energiesystem insgesamt zukunftsfähiger zu machen.
Autoren: Stefan Breit, Venkatesh Rao, Detlef Gürtler
Sprachen: Deutsch, Englisch
Im Auftrag von: Bundesamt für Energie BFE